»Europa muss zurück auf den Pfad der zivilen Tugend«  

Dr. Peter Strutynski sprach beim friedenspolitischen Aschermittwoch im DGB-Haus

Aschaffenburg. Europa befinde sich auf dem Pfad der »militärischen Untugend« und muss wieder zurückfinden auf den Pfad der »zivilen Tugend«. Das meinte der Kasseler Politikwissenschaftler Dr. Peter Strutynski in seinem Vortrag »Krieg und Frieden und die EU« beim friedenspolitischen Aschermittwoch im DGB-Haus, einer gemeinsamen Veranstaltung von Attac und dem Friedenskomitee Aschaffenburg, dem Förderverein Friedensarbeit sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Für die Friedensbewegung biete das Scheitern des EU-Verfassungsentwurfs am 13. Dezember vergangenen Jahres in Brüssel eine große Chance, meinte Strutynski. Sie habe nun bis zur nächsten Abstimmung Zeit, den Bürgern zu zeigen, dass die in dem Entwurf enthaltenen Aussagen zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ein »Skandal« seien.
Mit ihnen würden die grundlegenden Weichen für die EU als weltpolitisches militärisches Machtzentrum gestellt, sagte der Referent. Das berge die Gefahr, dass Krieg als Mittel der Politik weiter enttabuisiert werde, womöglich als »unausweichlich« legitimiert, um die Interessen des europäischen Staatengefüges zu wahren.
Die gemeinsame neue Verfassung sieht vor, dass sich alle EU-Mitglieder zur Aufrüstung und Modernisierung ihrer Waffen verpflichten. Das ist laut Strutynski »einmalig«. Er zitierte die Aufgaben des geplanten Europäischen Amts für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten: Das Amt wirkt mit bei der »Ermittlung der Ziele im Bereich der militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten und der Bewertung der Erfüllung der von den Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Fähigkeiten eingegangenen Verpflichtungen«.

Erhöhte Verteidigungsanstrengungen

Ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen in Polen zeige, was dies gerade für die neuen Mitglieder im Osten bedeute: rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit, davon fast 50 Prozent unter den Jugendlichen. »Wie sollen diese Probleme gelöst werden, wenn Polen selbst gezwungen ist, seine Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen und die militärischen Strukturen NATO-kompatibel zu machen?«
Zudem würden die EU-Mittel zur Agrarförderung und Strukturverbesserung künftig geringer ausfallen, weil der Aufbau des Militärapparats und künftige weltweite EU-Einsätze ebenfalls Mittel binden würden.
Ebenfalls »einmalig« nannte der Referent das Festschreiben von Kampfeinsätzen - auch außerhalb der EU - in der europäischen Verfassung. Es gehe dabei ausschließlich um militärisches Eingreifen, dazu noch ohne geografische Einschränkung. Mit der einfachen Verteidigung eines Territoriums habe das nichts mehr zu tun. So werde auch in Europa »eine diffuse Terrorismusgefahr« beschworen, um weltweites Einschreiten mit Waffengewalt zu rechtfertigen.
Als die »europäische Variante« des Bush'schen Präventivkriegskonzepts prangerte der Redner die neue Sicherheitsdoktrin der EU an. Der im Dezember in Brüssel nur geringfügig überarbeitete Entwurf von Solana war als Europäische Sicherheitsstrategie ESS verabschiedet worden. Darin steht unter anderem: »Staatlicher Zusammenbruch und organisierte Kriminalität breiten sich aus, wenn ihnen nicht entgegengewirkt wird? Daher müssen wir bereit sein, vor Ausbruch einer Krise zu handeln. Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden.« Mit »vorbeugen«, so der Referent, sei der Einsatz von Militärmacht gemeint. Als »Gipfel des Ganzen« bezeichnete es der Redner, dass die Entscheidungen über Krieg und Frieden ohne jede parlamentarische Kontrolle allein vom europäischen Ministerrat getroffen werden sollen.
Strutynskis abschließender Appell: Nur wenn sich die EU als »zivile Macht« präsentiere und sich darauf konzentriere, »die wirtschaftliche und soziale Dimension des Projekts EU-Erweiterung zu lösen«, habe sie eine Chance, ihr politisches Gewicht langfristig in die weltpolitische Waagschale zu werfen.
mel